Lackmustest
Die Fliesenleger haben ganze Arbeit geleistet, die Sanitärräume sind auf dem Boden - und soweit vorgesehen - an den Wänden gefliest und verfugt. Und, ja, wir haben einen Fliesenspiegel, der sich durch alle Räume zieht und tatsächlich aufgeht. Da geht mir das Herz auf, denn das ist alles andere als selbstverständlich. Jetzt mag sich mancher fragen, wovon ich hier fabuliere, denn ordentliche Fliesenarbeiten sieht man doch immer mal wieder. Aber dass Wand- und Bodenfliesen in einem durchgehenden Fugenraster verlegt sind, das auch um alle Ecken und Vorsprünge herum aufgeht und dabei mit möglichst wenig Verschnitt auskommt, ist alles andere als selbstverständlich. Und oft wird es eben gar nicht erst versucht, indem bewusst abweichende Fliesenformate gewählt oder der Boden diagonal verlegt wird. Dass das zu einem unschönen, unruhigen Fugenbild führt, ist ja eigentlich logisch, das Ziel eines durchgehenden, gleichmäßigen Quadratrasters sollte also nachvollziehbar sein. Aber was es bedeutet, so etwas in die Tat umzusetzen, weiß vermutlich nur, wer selbst einmal einen solchen Fliesenspiegel gezeichnet hat und dabei feststellen durfte, dass man immer an einer Ecke endet, wo etwas nicht mehr passt. Die Verzweiflungsentscheidung, die Wände so zu fliesen, wie die Armaturen es fordern und dann den Boden einfach diagonal zu legen oder ein anderes Format zu wählen, ist also verständlich - aber eben nicht gut. Und umgekehrt: Wenn auch in der hintersten Ecke einer WC-Kabine das Fugenbild stimmt, kann man davon ausgehen, dass der Fliesenleger nicht einfach losgeschickt wurde, sondern dass sich vorher ein Planer richtig viel Mühe gegeben hat und bis zu Ende gedacht hat. Und interessant ist: Wenn man einmal mit der Suche nach dem perfekten Fliesenspiegel begonnen hat, stellt man fest, dass es ihn zum einen sehr selten gibt und dass er zum zweiten nur in Bauwerken mit ausnehmend anspruchsvoller Architektur zu finden ist. Gewissermaßen der Lackmustest guter Architektur: Einfach mal auf die Toilette gehen und gucken, was dort veranstaltet wurde. Das mag man für einen Architektentick halten, aber wenn man sich einmal mit der Herausforderung beschäftigt hat, dann sieht man eben die gekachelten Nebenräume dieser Welt - und nicht nur diese - mit anderen Augen. Ein Dank an ksw architekten: Obwohl unsere WC-Räume nun wirklich eher klein und verwinkelt sind, hat unser Neubau den Lackmustest nunmehr bestanden.